Saturday, October 18, 2014

Fragmentarisch Frieren.


 
"Er inhaliert und stößt kalten Rauch aus, die Augen hängen ihm starr im Gesicht. Ist das der Alkohol oder schon die erste Regieanweisung? Sie steht da mit leeren Händen und feuchten Haaren und weiß nicht wohin mit ihrer Unbeholfenheit. Um sie herum nur noch die Leute, die nüchtern und erhobenen Hauptes über die Samstagabendleichen steigen und die, die an Hauswänden wanken und dabei sind, die nächsten Leichen zu werden. Wir passen nicht dazu, sind weder die einen noch die anderen, denkt sie, wir sollten hier gar nicht sein.
Er zieht immer noch, wirkt fast verzweifelt, wie er da steht, in seinem T-Shirt, das ihm im Nachtwind um den Rücken flattert und an der Zigarette saugt. Warmer Elektro weht aus dem Club herüber und fährt ihr quer durch den Körper. Es tut gut, das erste Mal seit langem und sie stellt fest, dass sie eigentlich ganz gerne wieder reingehen würde. Tanzen, vielleicht die Arme in die Luft werfen, oder irgendwas Übertriebenes, und Schnaps aus kleinen Gläsern stürzen. Den anderen verkaufen, dass man vollkommen gelöst ist und sich das irgendwann selber glauben. „Hm, und jetzt?“ Er legt den Kopf schief, ganz leicht nur, als wäre ihm die Welt auf den Ohren plötzlich zu schwer geworden. Sie hasst es, wenn er sie so anschaut. Sein Blick ist dann ganz voll von Dingen, einige versteht sie und die meisten gar nicht, und sie hasst sich dafür, dass sie das so liebt. Manchmal muss er sie nur so anschauen und alles wird heller.
Vielleicht reicht das, denkt sie manchmal. Wenn jemand sowas kann, muss er vielleicht nicht mehr kochen können, braucht nicht geduldig sein und darf beschissene Musik mögen. Vielleicht muss er nicht mal besonders nett sein. Ein schiefes Lächeln kann manchmal die ganze Welt gerade rücken. Plötzlich hat sie unfassbare Lust auf ein Rosinenbrötchen. „Was sollen wir denn jetzt machen?“, flüstert er zwischen zwei Zügen und streicht ihr so vorsichtig eine verschwitzte Strähne aus dem Gesicht, dass ihr ganz anders wird.
Du musst jetzt was antworten, denkt man nach einer viel zu langen Zeit aus Luftanhalten und Stille. Neben ihr erbricht sich ein pickeliger Blonder mit Gelfrisur auf seine Schuhe, die Kumpels lachen sich kaputt. Lass dir was einfallen, erinnere dich, du wolltest doch so viel sagen und jetzt ist der Moment, du musst nur noch ablesen, hör auf dein Gefühl und sag, was ist und wie es sein soll. Als sie den Mund aufmacht, schwimmt ihr scharfe Luft in den Rachen. „Hat um die Zeit noch ein Bäcker auf?“ Sie hätte doch so gern ein Rosinenbrötchen."




Bild: Leo Hidalgo (flickr.com) unter cc by 2.0

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