Saturday, May 19, 2012

Stranger beware, there's love in the air under Paris skies.

"Eine leere Seite. So leer, dass sie am liebsten Farbe darauf gespritzt hätte, nur um dieses Weiß, dass sie von allen Seiten zu erdrücken schien, nicht mehr ertragen zu müssen. Sie hätte nicht gedacht, wie sehr Weiß einen in den Augen schmerzen kann. Es war nicht so, dass es in ihrem Kopf auch still und leer war wie in ihrem Appartment. So viele Ideen flogen um sie herum, doch sie hielten nie still, wie kleine Schmetterlinge ergriffen sie die Flucht, wann immer sie sich ihnen nähern wollte.
Mit einem Seufzer erhob sie sich schlussendlich von ihrem harten Holzstuhl, den sie an ihrem ersten Tag in der Stadt einem alten, zahnlosen Mann am Seineufer abgekauft hatte. Er war eigentlich viel zu unbequem und sie könnte sich längst schon einen neuen leisten, aber ihr Herz hing an solchen Dingen. Der Stuhl war eine Erinnerung an die überschäumende Euphorie, die sie in ihren ersten Wochen verspürt hatte. Sie konnte sich noch erinnern, wie glücklich sie gewesen war, voller Träume, in der Stadt ihrer Träume, ihr ganzes Leben wie ein Traum. Es war ihr vorgekommen wie eine einzige große Seifenblase, eine schillernde Hülle, zu schön für diese Welt, und das war es auch gewesen, eine Hülle. So zart und dünn, dass sie zerbrach, sobald sich ihr etwas näherte.
Und jetzt saß sie Tag für Tag in ihrem kleinen Apartment und starrte auf die leere Seite vor ihren Augen.
Das Sonnenlicht stach in ihre Augen, als sie die schwere Holztür aufstieß und nach draußen trat, aber anders als die blanken Seiten war es ein angenehmer Schmerz. Einer, der ihr das Gefühl gab, noch am Leben zu sein. Die Luft roch nach Frühling, und der Duft von Crêpes, die an jeder Straßenecke verkauft wurden, wehte ihr in die Nase. Sie vernahm das energische Hupen der Taxifahrer, das Stimmengewirr der Touristen, die Rufe der Straßenhändler in der Ferne, und das Gurren der Tauben, das sie stets auf seltsame Art und Weise rührte. Sie sah, dass Paris in der Zeit, in der sie untätig vor ihren leeren Blättern gesessen hatte, seinen Wintermantel abgestreift hatte und der Frühling durch die kopfsteingeflasterten Gassen raunte.
Sie konnte förmlich fühlen, wie ihre Stimmung sich aufhellte. Sie wendete sich nach rechts, vorbei an dem kleinen Supermarkt, an dem sie morgens ihre frischen Croissants kaufte und sich dabei immer noch wie eine Fremde vorkam, die versuchte, in eine Stadt zu passen, die nicht ihre war.
Ein Schlenker nach links, und sie gelangte an ihrem Lieblingsblumenhändler vorbei auf die Rue Belliard. Die Straßencafés waren von fröhlichen Stimmen und Geschirrgeklappere erfüllt, sie atmete die Sonne ein und sie wusste wieder, wieso sie hier war. Weil sie Paris liebte. Sie liebte diese Stadt mit Leib und Seele, sie liebte alles, wofür sie stand.

Am Eiffelturm waren so viele Menschen, dass ihr fast schwindlig wurde. Immer, wenn sie so viele Menschen auf einem Fleck sah, musste sie darüber nachdenken, wie viele verschiedene Gedanken dort herumflogen, jeder mit seiner eigenen Geschichte, die er mit sich herumträgt wie einen abgewetzten Koffer. So viele Geschichten, und sie wollte alle hören. Wieso schaute der Mann in dem grauen Regenmantel so mürrisch? Wieso war er allein? Und wieso trug er bei dem strahlenden Sonnenschein einen Regenmantel? Vielleicht dachte er darüber nach, dass er in seinem Leben zu viele Chancen verpasst hatte. Er hatte nicht um seine Frau gekämpft, den Draht zu seinen Kindern verloren, die jetzt mit seiner Frau und ihrem neuen Partner außerhalb von Paris wohnten und ihn nur ein paarmal im Jahr zu sehen bekamen. Er war nicht zu seiner sterbenskranken Mutter gefahren, weil er gedacht hatte, noch Zeit zu haben, und jetzt vermisste er sie so sehr. Und jetzt stand er hier, allein und verloren, mit nichts als einem Ticket in der Hand, in der Hoffnung dass von dort oben all seine Sorgen genauso winzige Punkte sein würden wie die Dächer der Stadt.
Vielleicht war es aber auch ganz anders. Vielleicht schaute er nur einfach etwas mürrisch, weil seine Freunde sich wie immer verspäteten.
Sie würde es nie wissen.

Aber eines wusste sie, während sie den Himmel spürte und in sich hineinlächelte:
Heute würden die Seiten nicht weiß bleiben."



Bild: Kat... (flickr.com) unter cc by-nc-nd 2.0

Friday, May 04, 2012

Dear future me.




Kurz vor dem Abitur kreisen meine Gedanken immer mehr um die Zukunft. Wie ein Schwarm Möwen stürzen sie auf das zerkrümelte Stück Brot herunter und umkreisen es kreischend. Wobei ich nicht hoffe, dass meine Zukunft in irgendeiner Weise aussieht wie ein zerkrümeltes Stück Brot!
Dabei gibt es verschiedene Ebenen von Zukunft. Die nahe Zukunft - in 3 Tagen hast du die Klavierprüfung geschafft, in 7 Tagen hast du das Deutschabitur hinter dir, in 12 Tagen auch das Musikabitur-, die baldige Zukunft - die Zeit nach dem Abi spielt sich in meinem Kopf ab wie ein Film mit dem Titel "Der Sommer unseres Lebens" -, die nahe Zukunft - und was tun, wenn mit dem Ende des Sommers auch das Ende der grenzenlosen Freiheit naht? -, und irgendwann, die Zukunft-Zukunft. Mein Leben in 50 Jahren - auf was blickt man zurück? Was würde ich meinem Zukunfts-Ich gerne sagen? Umgekehrt wäre die Sache naürlich weitaus interessanter, aber wohin mit all den Plänen, mit all den Träumen, wenn man seine Zukunft schon vor sich ausgebreitet sehen würde wie eine Landkarte? Ich will doch versuchen, selbst meine Wege auf der Karte einzuschlagen und nicht einfach den Wegweisern zu folgen.
Also würde ich meinem Zukunfts-Ich sagen:
Da bist du also. Erstmal Glückwunsch, dich (also mich..) gibt es immer noch, das ist schön. Aber bist du glücklich? Lass mich dir sagen, du warst einmal ein junger Mensch, mit dem Kopf voller Träume und dem Herzen voller Geschichten. Ich hoffe, du hast nicht mittlerweile einen kalten Stein in der Brust, wo heute noch ein Herz für tausend Dinge schlägt: für noch ofenwarme Brownies, für schöne Bücher, oder den Geruch von Sonnencreme. Für den Traum vom Schreiben als Beruf, für das Gefühl, beim Tanzen alle Sorgen einfach wegtanzen zu können, und für den Geschmack von Zitroneneis auf der Zunge.
Vielleicht haben sich ja ein paar der unzähligen Träume erfüllt, vielleicht auch nicht. Vielleicht haben sich stattdessen Träume erfüllt, die jetzt noch gar keine sind. Aber egal, wo du jetzt bist, ich hoffe du fühlst, dass du angekommen bist.
Denn ich habe das Gefühl, dass ich gerade erst am Anfang einer Reise stehe. Schick mir eine Postkarte! Ich bin gespannt, was mich erwartet.