Wie soll man eine Geschichte erzählen, die ohne Worte auskommt?
Als wir den Berg hinaufkriechen, nach Har Gilo und weiter ins Dorf hinein, erst mit einem freundlichen Ranger aus der Gegend, der uns über die Grenze rettete, und dann in einem Taxi mit zwei Arabern im Turban und einer leise vor sich hin stöhnenden Muslima neben mir auf dem Rücksitz, nachdem uns die Polizei aus ihrem Autofenster heraus fotografiert hat, um sicherzugehen, dass das weiße Mädchen mit den blonden Haaren wirklich freiwillig nach Al-Walaja fährt, erzählt man uns später; als wir uns also die Berge Palästinas hochwinden und ich einfach nur noch ankommen will, habe ich noch meine Sprache. Ich verliere sie erst im Laufe des frühen Abends, als das Arabisch um mich herum zunimmt und alles verschlingt, was irgendwie vertraut klingt, und nach dem Abendessen aus viel Reis und gerösteten Mandeln und glänzendem, dunkel gewürztem Hühnchen, während ich allmählich mit dem grauen Plastiktisch in der Mitte des Wohnzimmers verschmelze und mir langsam immer weniger aus dem Mund fällt, als schöben sich die Wörter mit dem fettigen Essen zusammen in meinen Gaumen zurück, bin ich dann verstummt. Bin erst noch ein Kind, das selber nickt und irgendwann ein Möbelstück, das nur noch verrückt wird; im Passiv. Ob ich mitkommen will, die Cousine von der Arbeit in Bethlehem abholen, fragen sie mich, Nein danke, sage ich. Ich brauche nicht mehr viele Worte dafür, vielleicht schüttele ich auch einfach nur noch den Kopf.
Und dann sitze ich mit der Tante vor dem kleinen Heizkörper auf dem Teppichboden im Wohnzimmer, wir halten uns die Hände vor die glühenden Stäbe und dann fangen wir einfach an zu reden. Sie Arabisch und ich absurderweise Englisch, als ob sie das besser verstünde. Sie macht mir Minztee, eine Art Übersprungshandlung, wie später jedes Mal, wenn wir uns was sagen und nicht verstehen; dann brüht sie einfach Wasser auf, weil, wenn sie eines verstanden hat, dann dass ich verdammt gern Minztee trinke. Sie liest mir aus dem Koran vor und ich meine, dass sie versucht hat, mir in zehn Minuten den Islam zu erklären und irgendwann fängt sie an zu beten und singt mir laut ins Gesicht. Es ist etwas befremdlich, die Worte Allahu akbar, die ich nur aus Terrormeldungen und Attentatberichten kenne, von Fratzen, die mein geliebtes Paris und die ganze westliche Lust in die Luft sprengen wollen, so rausgerissen und lose zu hören, aus dem freundlichen Lachen einer Frau, die mir Tee macht wie eine Mutter. Aber ich schlucke alles; versuche mal, was wir alle viel zu selten machen: Worte aufzunehmen statt sie einfach nur auszukotzen. Dann deute ich auf das Buch, das ich für die Reise mitgebracht habe, von einem israelischen Autor, und sie betrachtet staunend die Buchstaben, und ich muss lachen, dass sie denkt, es wäre Englisch, bis mir auffällt, dass auch ich Persisch nicht von Arabisch unterscheiden könnte. Manchmal verstummt Sprache; hat nichts mehr zu sagen. Und so nähern wir uns an wie Kinder. Wir werfen uns irgendwelche Fetzen zu, lose Sätze, abgerissene Wörter, manchmal heben wir die Hände und schlagen sie dann über dem Kopf zusammen und lachen, wenn wir gleichzeitig einsehen, dass wir keine Ahnung haben, wovon der andere spricht.
Als die anderen wiederkommen, sind wir die besten Freunde.
Bild: privat (Bethlehem, März 2016)
Bild: privat (Bethlehem, März 2016)
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