Tuesday, July 16, 2013

Von Mauern und Kometen.

"Sind wir bald da?", fragte sie mit ihrer für ein Mädchen seltsam tiefen, aber heute befangenen Stimme, die bloßen Füße auf dem heißen Armaturenbrett, der vom Fenster herunterhängende Traumfänger kitzelte ihre Zehen. Wortlos schaltete er den Blinker ein. Sie wusste nicht, wo er war, aber sie teilten sich nicht mehr den gleichen Boden. Manchmal wusste sie nicht mal, ob er überhaupt von der Schwerkraft auf der Erde gehalten wurde, oder ob er es aus bloßem Pflichtbewusstsein tat. Sie dagegen hatte das Gefühl, von der Erdanziehung mehr gewaltsam zu Boden gedrückt, als nur angezogen zu werden. Wie viele haltlose Menschen wohl im Universum herumschweben würden wie lebendige Kometen, wenn nicht mal die Physik sie auf der Welt halten würde? Die Milchstraße wäre wahrscheinlich so voll wie die Kaufingerstraße am dreiundzwanzigsten Dezember. Sie ertappte sich selbst dabei, wie sie leise auflachen musste. Und fragte sich im nächsten Augenblick, ob er deshalb so abwesend, so abweisend war. Weil sie einfach verdammt verquer war. Weil sich wahrscheinlich keiner so in den Dingen verlief wie sie. Sie tastete sich blind vorwärts, in diesem Labyrinth aus Blicken, Worten und Kometen, vergaß sich zu merken, wann sie eine Abbiegung genommen hatte und merkte nicht, wenn sie an einer Wand schon vorbeigekommen war. Ihr Universum war nicht frei, es gab Wege und Mauern, aber sie hatte weder einen Kompass noch einen klaren Kopf. Er war mal ihr Wegweiser gewesen, hatte ihr Ausgänge gezeigt, hatte sie durch das Labyrinth getragen, das sie Leben nannten.
Und jetzt saß er am Steuer ihres alten, aber heißgeliebten Golfs, blinkte und es traf sie wie ein Fausthieb. Sie war nicht so getroffen gewesen, als er ihr erzählt hatte, dass er jemanden kennen gelernt hatte, war nicht so am Boden zerstört gewesen, als sie die letzten drei Tage dort getrennt verbracht hatten, er mit ihr, sie mit Kabelfernsehen und Vodka. Hatte nicht so einen stechenden Schmerz verspürt, als sie sich am Morgen den Finger in der Autotür geklemmt hatte, weil sie sich in Gedanken vom Meer verabschiedete, an Ritualen hielt sie fest.
Und jetzt blinkte er nur und brach ihr damit das Herz.
Sie bogen in ihre Straße ein.
Er stieg zuerst aus."
 
 
Bild: Porsche Brosseau (flickr.com) unter cc by-sa 2.0